BFH v. 21.10.2015 – XI R 40/13

UStG § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 9 Abs. 3; MwStSystRL Art. 137 Abs. 2

Der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung der Lieferung eines Grundstücks (außerhalb eines Zwangsversteigerungsverfahrens) kann nur in dem dieser Grundstückslieferung zugrunde liegenden notariell zu beurkundenden Vertrag erklärt werden.

Ein späterer Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung ist unwirksam, auch wenn er notariell beurkundet wird.

Problem: Streitig ist, ob der durch eine nachträgliche, notariell beurkundete Änderung des ursprünglichen Kaufvertrags erklärte Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung für die Lieferung eines Grundstücks wirksam war.

Sachverhalt: Der Kläger erwarb im Jahr 2003 ein Grundstück. Der ursprüngliche Verkäufer hatte beim Verkauf des Grundstücks an den Kläger zur Umsatzsteuer optiert. Der Kläger vermietete das Grundstück an seine Organgesellschaft, die B-GmbH, die das Grundstück zur Ausführung umsatzsteuerpflichtiger Umsätze verwendete, und machte die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend. Mit notariellem Vertrag vom 22.10.2009, also vor Ablauf des zehnjährigen Korrekturzeitraums nach § 15a Abs. 1 S. 2 UStG, verkaufte der Kläger das Grundstück an seine Ehefrau (F). Einen Verzicht auf die Steuerbefreiung erklärte er nicht. F setzte die Verpachtung an die GmbH unter Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG fort. Im Jahr 2013 änderte das FA die Steuerfestsetzung für 2009 und berichtigte den Vorsteuerabzug nach § 15a UStG, weil der Kläger das Grundstück vor Ablauf des Berichtigungszeitraums umsatzsteuerfrei veräußert habe. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage gegen die Festsetzung der Vorsteuerkorrektur; der Verkauf des Grundstücks sei eine nichtsteuerbare (Teil-)Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S.d. § 1 Abs. 1a UStG, weil F die Verpachtung des Grundstücks an die B-GmbH fortgeführt habe.

In der mündlichen Verhandlung wies das FG den Kläger darauf hin, dass er im Hinblick auf die zwischen dem Kläger und der B-GmbH bestehende Organschaft keine Vermietungsleistung erbracht habe und daher keine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorliege. Es regte an, dass der Kläger zur Vermeidung der Vorsteuerkorrektur den Verzicht auf die Steuerbefreiung für die Veräußerung des Grundstücks an F erkläre. Der Kläger und F änderten daraufhin den Kaufvertrag. In der notariell beurkundeten Neufassung des Kaufvertrags erklärte der Kläger nunmehr den Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung. Wegen der Steuerschuld der F gem. § 13b Abs. 5 S. 1 UStG änderte sich der Kaufpreis nicht.

Nach Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung gab das FG der Klage statt (FG Niedersachsen v. 22.8.2013 – 16 K 286/12, DStRE 2015, 426). Weil der Kläger das Grundstück (nunmehr) umsatzsteuerpflichtig veräußert habe, sei die Vorsteuer nicht nach § 15a UStG zu berichtigen. § 9 Abs. 3 S. 2 UStG sei nicht dahingehend auszulegen, dass eine Option zur Umsatzsteuerpflicht nur in dem ursprünglichen notariellen Vertrag vereinbart werden könne und dieser danach nicht mehr ergänzt werden könne. § 9 UStG enthalte keine zeitliche Vorgabe, wann die Option ausgeübt werden müsse. Eine zeitliche Beschränkung der Optionsausübung sei auch nicht erforderlich. Denn im Hinblick auf die nach § 9 Abs. 3 S. 2 UStG erforderliche Beurkundung sei der Erwerber des Grundstücks in die Ausübung der Option eingebunden und trage nach § 13b UStG die sich daraus ergebenden umsatzsteuerrechtlichen Konsequenzen.

Mit der Revision rügte das FA die Verletzung materiellen Rechts und machte geltend, das FG habe seine Pflicht zur Unparteilichkeit verletzt. Die Option könne nur bis zur formellen Bestandskraft der Steuerfestsetzung ausgeübt und geändert werden, und zwar unabhängig davon, ob der zugrunde liegende Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehe. Im zu entscheidenden Fall sei im August 2010 formelle Bestandskraft eingetreten, so dass die Option zur Umsatzsteuer 2013 nicht mehr möglich gewesen sei. Die Auffassung des FG hätte zur Folge, dass in Fällen des Übergangs der Steuerschuld stets geprüft werden müsse, ob die Steuerfestsetzung gegen den Erwerber noch geändert werden könne. Der Kläger hingegen vertrat die Ansicht, das Optionsrecht bestehe bis zum Wegfall des Vorbehalts der Nachprüfung.
Lösung des Gerichts

Der XI. Senat des BFH hob das Urteil der Vorinstanz auf und wies die Klage ab.

Kein Verzicht auf die Steuerbefreiung möglich: Entgegen der Auffassung des FG sei die Vorsteuer aus dem Erwerb des Grundstücks im Jahr 2003 nach § 15a Abs. 1 S. 1 UStG zu berichtigen, weil sich durch die steuerfreie Veräußerung im Jahr 2009 die maßgebenden Verhältnisse verändert hätten. Die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG seien nicht erfüllt.

Nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 3 S. 2 UStG sei ein Verzicht nur in dem nach § 311b Abs. 1 BGB notariell zu beurkundenden Vertrag möglich. Nach § 311b Abs. 1 BGB sei der Vertrag zu beurkunden, der die Verpflichtung zur Übertragung oder zum Erwerb begründe. Dies sei der Verpflichtungsvertrag, der der Auflassung und der Eintragung vorhergehe. Eine nachfolgende Neufassung des Vertrags erfülle danach nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 3 S. 2 UStG – auch dann nicht, wenn diese notariell beurkundet seien.

Mögliche Optionsausübung ist zeitlich beschränkt: Aus dem systematischen Zusammenhang von § 9 Abs. 3 S. 2 und S. 1 UStG ergebe sich auch, dass das Erfordernis der Optionsausübung in dem zu beurkundenden Vertrag nicht als schlichtes Formerfordernis zu verstehen sei. Auch die Möglichkeit der Optionsausübung nach § 9 Abs. 3 S. 1 UStG sei zeitlich beschränkt. Dieses Verständnis entspreche auch der Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 3 S. 2 UStG (BR-Drucks. 583/10, 12), wonach der Gesetzgeber auf den Zeitpunkt des Abschlusses des notariellen Kaufvertrags als Zeitpunkt für die Erklärung des Verzichts auf die Steuerbefreiung abstelle. Der gleichzeitig mit § 9 Abs. 3 UStG eingeführte Übergang der Steuerschuld auf den Erwerber nach § 13b UStG spreche ebenfalls für diese Auslegung. Der Übergang der Steuerschuldnerschaft erfordere eine zeitliche Begrenzung der Optionsausübung, um einerseits den Erwerber vor nachträglichen Änderungen zu schützen und andererseits Steuerausfälle zu vermeiden, die entstehen könnten, wenn im Fall einer nachträglich erklärten Option die Steuerfestsetzung gegenüber dem Erwerber nicht mehr geändert werden könne. Letzteres würde erfordern, die Möglichkeit zur Option von der Bestandskraft der Steuerfestsetzung des Erwerbers abhängig zu machen. Das sehe § 9 Abs. 3 S. 2 UStG jedoch nicht vor.

Kein Verstoß gegen Unionsrecht: Diese Auslegung sei auch mit EU-Recht vereinbar. Denn in Art. 137 Abs. 2 MwStSystRL legten die Mitgliedstaaten die Einzelheiten für die Inanspruchnahme des Wahlrechts zur Steuerpflicht fest. Die Regelung in § 9 Abs. 3 S. 2 UStG entspreche dem Grundsatz der Neutralität und dem Erfordernis einer konkreten, einfachen und einheitlichen Anwendung der Befreiung.

Die Entscheidung stehe auch nicht in Widerspruch zu den Urteilen des V. Senats vom 19.12.2013 (BFH v. 19.12.2013 – V R 6/12, UR 2014, 572; v. 19.12.2013 – V R 7/12, UR 2014, 579 = UStB 2014, 198), weil diese zu einer anderen Rechtslage ergangen seien.

Quelle: BFH, Pressemitteilung vom 07.02.2017 (il)